Zielsetzung
Am 21. August 1996 ist das
Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG in Kraft getreten. Es verpflichtet
alle Arbeitgeber, durch eine Beurteilung der Gefährdungen
der Beschäftigten bei der Arbeit zu ermitteln, welche Arbeitsschutzmaßnahmen
erforderlich sind. Wie der Arbeitgeber die Beurteilung vorzunehmen
hat, regelt das Gesetz nicht. Insbesondere die Arbeitgeber kleiner
Betriebe rechnen aber damit, dass ihnen bei der Ausfüllung
ihrer Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung Hilfen an die Hand
gegeben werden. Dieser Wunsch nach Hilfe trifft auf zahlreiche
Aktivitäten: Handlungshilfen unterschiedlicher Art und von
verschiedenen Verfassern werden bereits angeboten. Vor diesem
Hintergrund werden das Bundesarbeitsministerium, die für
den Arbeitsschutz zuständigen Behörden der Länder
und die Unfallversicherungsträger nun häufig gefragt,
wie eine Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung gestaltet
werden soll, was sie denn zu leisten habe und wie in den Betrieben
und Verwaltungen sinnvollerweise vorzugehen sei. Dabei sollen
Form und Gestaltung spezieller Handlungshilfen der besonderen
Situation von kleinen und mittleren Unternehmen entsprechend Rechnung
tragen.
Der Gesetzgeber hat bewusst
den Betrieben einen breiten Spielraum für die Gefährdungsbeurteilung
gelassen. Die folgenden Grundsätze sollen und können
diesen Spielraum nicht einengen; sie beanspruchen insofern keine
Rechtsverbindlichkeit.
Tatsächlich aber werden
Handlungshilfen zur Gefährdungsbeurteilung ein wichtiges
Instrument sein, um den Arbeitsschutz gerade in kleinen Betrieben
zu verbessern, die Betriebe für einen wirksamen Arbeitsschutz
zu gewinnen und diesen in die betrieblichen Arbeitsabläufe
zu integrieren.
Bundesarbeitsministerium,
die für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörden
und die Spitzenverbände der Unfallversicherungsträger
kamen deshalb überein, die folgenden Grundsätze für
Handlungshilfen zur Gefährdungsbeurteilung zu formulieren
und damit den Erstellen eine Anleitung zu geben. Nutznießer
sollen auch die Anwender sein, die sich bei der Auswahl einer
Handlungshilfe an den Grundsätzen orientieren können.
Anwender sind dabei neben dem Arbeitgeber alle am betrieblichen
Arbeitsschutz Beteiligten:
Beschäftigte,
Sicherheitsfachkräfte,
Betriebsärzte,
Sicherheitsbeauftragte,
Beschäftigtenvertretungen,
Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger und
die Staatliche Arbeitsschutzaufsicht.
Die Grundsätze basieren auf einer Auswertung zahlreicher
Materialien zur Gefährdungsbeurteilung aus dem nationalen
und europäischen Bereich und schlagen vor, was in einer Handlungshilfe
abgehandelt und wie sie gestaltet sein sollte.
§ 3 ArbSchG verpflichtet
den Arbeitgeber,
"... die erforderlichen
Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung
der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der
Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen
auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls
sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine
Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten
anzustreben."
Eine zentrale Maßnahme
des Arbeitsschutzes ist dabei die Beurteilung der Arbeitsbedingungen
nach § 5 ArbSchG:
"(1) Der Arbeitgeber
hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten
mit ihrer Arbeit verbundene Gefährdung zu ermitteln, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.
(2) Der Arbeitgeber hat die
Beurteilung je nach Art der Tätigkeit vorzunehmen. Bei gleichartigen
Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder
einer Tätigkeit ausreichend."
Anhaltspunkte dafür,
wodurch sich eine Gefährdung für die Beschäftigten
ergeben kann, enthält die beispielhafte Aufzählung in
§ 5 Abs. 3 ArbSchG:
"Eine Gefährdung
kann sich insbesondere ergeben durch
die Gestaltung und Einrichtung
der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes,
physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln,
insbesondere Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen
sowie den Umgang damit,
die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen
und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,
unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten."
Im Kontext dieser Vorschriften ist die an den konkreten betrieblichen
Arbeitsbedingungen ausgerichtete Gefährdungsbeurteilung logische
Voraussetzung dafür, dass alle notwendigen und auf die betriebliche
Situation ausgerichteten Maßnahmen des Arbeitsschutzes zielgerichtet
getroffen werden: Nur wer die Gefahrenschwerpunkte in seinem Betrieb
kennt, kann sinnvolle Schutzmaßnahmen ergreifen und Gefährdungen
wirksam vermeiden.
Nach § 6 ArbSchG muss
der Arbeitgeber über Unterlagen verfügen, die das Ergebnis
der Gefährdungsbeurteilung, die darauf gestützten Maßnahmen
des Arbeitsschutzes und das Ergebnis ihrer Überprüfung
dokumentieren, sofern sein Betrieb mehr als zehn Beschäftigte
oder die zuständige Behörde dies im Einzelfall aufgrund
der besonderen Gefährdungssituation angeordnet hat.
Sinn und Zweck von Handlungshilfen
Die Gefährdungssituation
in Betrieben einer Branche bzw. bei bestimmten Tätigkeiten
ist häufig vergleichbar. Daher bietet es sich an, die Gefährdungen
branchen- oder tätigkeitsbezogen zusammenzufassen und Hinweise
auf die geeigneten Schutzmaßnahmen und die einschlägigen
Arbeitsschutzvorschriften zu geben.
Dies erleichtert dem Arbeitgeber
und allen anderen am Arbeitsschutz Beteiligten die Durchführung
der notwendigen Arbeitsschutzmaßnahmen im Betrieb.
Wendet ein Arbeitgeber eine
gute Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung an, geht er
zielorientiert vor und minimiert damit Aufwand und Kosten. Der
Arbeitgeber schafft im Betrieb durch die Verwendung einer Handlungshilfe
die notwendige Transparenz und signalisiert den Beschäftigten,
dass er ihre Sicherheit und Gesundheit ernst nimmt. Durch das
systematische Vorgehen nach einer Handlungshilfe wird dem Arbeitgeber
gegenüber den Aufsichtsdiensten der Nachweis erleichtert,
dass er seinen Pflichten nach dem Arbeitsschutzgesetz nachgekommen
ist.
20 Grundsätze für
die Gestaltung von Handlungshilfen für die Gefährdungsbeurteilung
1. Verantwortung des Arbeitgebers
Die Handlungshilfe soll die
Verantwortung des Arbeitgebers für die Durchführung
der Gefährdungsbeurteilung, das Ergreifen der erforderlichen
Arbeitsschutzmaßnahmen und die Wirksamkeitskontrolle deutlich
machen.
2. Beteiligung der Beschäftigten
und ihrer Vertretungen
Die Handlungshilfe soll bei
ihrer Anwendung das Gespräch mit den Beschäftigten und
ihren Vertretungen vorsehen, so dass wichtige Erfahrungen aus
der täglichen Arbeit beachtet werden und die Akzeptanz von
Arbeitsschutzmaßnahmen bei den Beschäftigten erhöht
wird.
3. Zielgruppe
Die Handlungshilfe soll die
Zielgruppe (z.B. Arbeitgeber im Kleinbetrieb, betriebliche Arbeitsschutzexperten,
Betriebs- oder Personalrat) klar definieren und sich in ihrer
Sprache und Gestaltung an der Zielgruppe orientieren. Zu berücksichtigen
sind die personelle und fachliche Leistungsfähigkeit des
Betriebs.
4. Motivation
Die Handlungshilfe soll die
Vorteile ihrer Anwendung für den Anwender deutlich machen.
Das betriebliche Interesse an gut gestalteten Arbeitsplätzen
und Arbeitsbedingungen, die die Gesundheit der Beschäftigten
nicht gefährden, soll deutlich aufgezeigt werden.
5. Rechtssituation
Die Handlungshilfe soll die
Rechtssituation klar herausstellen. Sie darf nicht den Eindruck
erwecken, dass ihre Anwendung durch das Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben
oder ihr Inhalt rechtsverbindlich ist.
6. Branchenbezug
Die Handlungshilfe soll tätigkeitsbezogen
Schwerpunkte setzen. Diese sollen für eine Branche oder einen
Arbeitsbereich zusammengefasst werden. Sofern es die vorliegende
Gefährdungssituation erfordert, soll sie auch arbeitsplatzbezogen
sein. Beim Umgang mit Gefahrstoffen oder biologischen Arbeitsstoffen
soll die Handlungshilfe stoffbezogene Schwerpunkte setzen.
7. Typische Gefährdungen
Die Handlungshilfe soll die
typischen Gefährdungen in der Branche bzw. für den Arbeitsbereich
möglichst vollständig aufführen. Hierbei sollen
das Unfall- und Krankheitsgeschehen berücksichtigt werden.
Die Handlungshilfe soll zugleich deutlich darauf hinweisen, dass
konkrete Gefährdungen im einzelnen Betrieb auftreten können,
die von ihr nicht abgedeckt sind.
8. Systematisches Vorgehen
Die Handlungshilfe soll die
einzelnen Schritte des systematischen Vorgehens bei der Beurteilung
darstellen und das Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren,
die in der Summe erst zur Gefährdung führen, herausstellen.
Die Handlungshilfe soll die Beurteilung nicht auf den Normalbetrieb
beschränken, sondern auch typische Störungen, Wartung
und Instandhaltung berücksichtigen.
9. Beurteilungskriterien
Die Handlungshilfe soll klare
Einschätzungen der Gefährdungen und für den Anwender
nachvollziehbare Beurteilungskriterien unter Verweis auf bestehende
Rechtsvorschriften geben. Dabei soll eine Abstufung der Gefährdung
nach Schwere und Häufigkeit erkennbar und nachvollziehbar
sein. Es soll angegeben werden, woher die Erkenntnisse stammen.
10. Konzentrationswirkung
Die Handlungshilfe soll dem
Anwender eine Gesamtbeurteilung der Gefährdungen ermöglichen.
Soweit die Beurteilung einzelner Gefährdungen spezialgesetzlich
geregelt ist (z.B. Gefahrstoffverordnung oder Unfallverhütungsvorschriften),
soll die Handlungshilfe hierfür keine Neubewertung vornehmen.
Die Beurteilungen sollen zusammengeführt werden.
11. Beurteilungstiefe
Die Handlungshilfe soll sich
bei der Prüftiefe bzw. beim Detaillierungsgrad am Gefährdungspotential
ausrichten. Eine hohe Gefährdung besteht z.B. auf Baustellen
und beim Umgang mit explosionsgefährlichen oder krebserzeugenden
Stoffen. Die Anforderungen an die Bewertung sollen den Gefährdungen
angepasst sein. Je komplexer die Gefährdung, desto detaillierter
soll die Handlungshilfe sein. Die Handlungshilfe soll aufzeigen,
warum bestimmte Gefährdungen für die Beurteilung nicht
relevant sind, obwohl sie nahe liegen.
12. Gleichartige Arbeitsbedingungen
Die Handlungshilfe soll klare
Hinweise darauf geben, unter welchen Voraussetzungen gleichartige
Arbeitsbedingungen unterstellt werden können, so dass entsprechend
§ 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG die Beurteilung eines Arbeitsplatzes
oder einer Tätigkeit ausreicht.
13. Einschaltung von Experten
Die Handlungshilfe soll Hinweise
darauf geben, in welchen Fällen die besondere Gefährdungssituation
die Einschaltung von Arbeitsschutzexperten erfordert. Wenn zur
Beurteilung der (Gefährdung detailliertes Fachwissen oder
nur mit erheblichem Aufwand ermittelbare Daten erforderlich sind,
soll sie über Schätz- und Ermittlungsverfahren, einschlägige
Literatur und bereits aufbereitete Daten informieren.
14. Maßnahmen
Die Handlungshilfe soll auf
der Grundlage des geltenden Arbeitsschutzrechts (Gesetze, Verordnungen,
Unfallverhütungsvorschriften) für typische Gefährdungen
konkrete Maßnahmen vorschlagen, so dass die Gefährdung
möglichst vermieden oder die verbleibende Gefährdung
möglichst gering gehalten wird. Dabei sollen die Grundsätze
des § 4 ArbSchG berücksichtigt werden. So sind z.B.
Maßnahmen mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation,
sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht miteinander zu verknüpfen.
Die Maßnahmen sollen dem Stand der Technik entsprechen.
Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen, individuelle
Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen.
Entsprechend ist die Rangfolge
der Maßnahmen festzulegen, z.B. technisch, organisatorisch,
personenbezogen. .
Die Handlungshilfe soll die
Dringlichkeit und Wichtigkeit der Schutzmaßnahmen nach dem
Grad der Gefährdung aufzeigen.
Die Handlungshilfe soll möglichst
Alternativen zu Maßnahmen enthalten, um dem Anwender betriebsbezogene
und dem konkreten Gefährdungspotential angemessene Entscheidungen
zu ermöglichen.
15. Überprüfung
und Wirksamkeitskontrolle
Die Handlungshilfe soll dem
Anwender aufzeigen, ob die bisher getroffenen Maßnahmen
ausreichen oder weitere Maßnahmen erforderlich sind. Sie
soll eine Wirkungskontrolle der getroffenen Maßnahmen vorsehen.
16. Erneute Gefährdungsbeurteilung
Die Handlungshilfe soll Hinweise
geben, wann eine erneute Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen
ist, z.B. bei Änderungen der Arbeitsorganisation, Anschaffung
neuer Maschinen und Produktionsausrüstungen, nach Arbeitsunfällen,
Beinaheunfällen und beim Auftreten arbeitsbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen.
17. Praxisgerechte Gestaltung
Die Handlungshilfe soll gut
handhabbar und sowohl sprachlich als auch im Umfang praxisgerecht
gestaltet sein und dabei insbesondere unterschiedlichen Branchenstrukturen
und Betriebsgrößen Rechnung tragen. Zusätzliche
Orientierungshilfen können z.B. ein Ablaufschema oder eine
Beurteilungsskala für die Einstufung der Gefährdung
sein. Die Handlungshilfe soll die Anforderungen von Gesetzen und
anderen Arbeitsschutzvorschriften für die betriebliche Praxis
konkretisieren und dabei deutlich machen, ob es sich jeweils um
eine rechtlich verpflichtende Regelung, um eine Regelung mit Ermessensspielraum
oder um eine bloße Empfehlung handelt.
18. Dokumentation
Die Handlungshilfe soll auf
einfache Weise ermöglichen, dass sie gleichzeitig als Unterlage
zur Erfüllung der Dokumentationspflicht nach § 6 ArbSchG
verwandt werden kann.
19. Aktualisierung
Die Handlungshilfe soll darauf
hinweisen, dass sie bei Änderungen der Rechtslage oder neuen
Erkenntnissen anzupassen ist. Der Stand ihrer Erstellung muss
angegeben werden.
20. Information und Beratung
Die Handlungshilfe soll Angaben
zu Informationsquellen enthalten und Hinweise auf Stellen geben,
die sachkundige Beratung anbieten.
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